Auf den Spuren von C.W. Gluck - Station Wien

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Hintergründe zur Opernreform durch Gluck

Mit der Zeit kamen Gluck grundsätzliche Bedenken über Inhalt und Form der Oper. Beide führende Opernformen schienen sich ihm zu weit von dem entfremdet zu haben, was die Oper wirklich sein sollte. Sie schienen unnatürlich, die Gesänge der Opera seria auf vordergründige Effekte gerichtet, ihr Inhalt uninteressant und versteinert. Der Opera buffa mangelte es seit geraumer Zeit an ursprünglicher Frische, sie hatte ihre Scherze verbraucht, man bekam stets die gleichen Personen als Karikaturen zu sehen. Auch in der Opera seria galten die Sänger als unumschränkte Herrscher der Bühne und der Musik, die sie mit höchster Kunstfertigkeit auszierten und teilweise so stark veränderten, dass der Zuhörer die ursprüngliche Melodie nicht einmal mehr erahnen konnte. Gluck wollte die Oper wieder zu ihrem Ursprung bringen, eine Oper, in der menschliche Dramen, Leidenschaft, Schicksalsschläge und urmenschliche Gefühle im Vordergrund stehen und wo Musik und Wort gleichwertig waren, wenn nicht gar die Musik die dramatische Situation stützen oder untermalen sollte: „prima le parole, poi la musica“.

Die Kennzeichen der folgenden Werke Glucks, der französischen komischen Oper, sind die kurzen, liedhaften Gesänge von einfachster Konstruktion. Gluck begann hier einen Auflösungsprozess. Er bescherte – bei festzustellender Durchgängigkeit des Basses – nun den Oberstimmen mehr Freiheiten. Das bedeutete die Lösung vom alten Fundament und eine innere Belebung eines äußeren Schemas.

Gluck hatten die ungekürzte Sprache wie die schnellen Stimmungs- und Szenenwechsel gereizt, die von ihm eine Anpassung der Musik erforderten. Die besondere Stellung, die Glucks Opern gegenüber seinem dramatischen Gesamtwerk einnehmen, bleibt bestehen. Nach dem Urteil Eduard Hanslicks, eines der bedeutendsten Musikkritiker des 19.  Jahrhunderts, war Gluck der „feierliche Hohepriester“ der musikalischen Tragödie. Er war 44 Jahre alt und in Europa ein berühmter Komponist, als er nach zweijährigem künstlerischem Schweigen die erste komische Oper veröffentlichte.

Gasparo Angiolini, ein Choreograph, hatte eine belebte Tanzdarstellung vor Augen. Damit setzte er sich gegen die vorgegebene höfische Ballett-Tradition ab, mit ihren Masken und der daraus resultierenden Typik und Starrheit; sein Wunsch war es, das typische repräsentative Ballett durch ein Handlungsballett zu ersetzen, das einem sinnvoll dramaturgischen Ablauf folgen sollte. Er äußert über Gluck: „Gluck hat die Musik gesetzt. Er hat das Stück vollkommen erfasst und versucht, die Leidenschaften, die vorgestellt werden und das Grausen, das die Katastrophe beherrscht, auszudrücken! Die Musik ist bei der Pantomime die Hauptsache: sie ist es, die spricht, wir machen nur die Bewegungen […] Es wäre uns fast unmöglich uns ohne Musik verständlich zu machen und je mehr sie an das angepasst ist, was wir ausdrücken wollen, desto besser werden wir verstanden.“

Angiolini legte besonderen Wert auf die Feststellung, dass die Musik eigens für das Ballett komponiert werde – also nicht als Choreographie zu älteren Stücken geschaffen. Auch das neue Ballett ist ohne Anregung aus Paris nicht zu denken. Am 17. Oktober 1761 präsentierte Gluck in Wien das Ballett Don Juan. Diesem durchaus ernsten Werk folgte dann am 5. Oktober 1762 Orfeo ed Euridice. Dieses Werk, das Gluck in der literarischen Rezeption jener Tage zum Schöpfer einer neuen Musik werden ließ, wurde als ähnlich schwer und düster wie der Don Juan empfunden. Die Idee des Handlungsballettes war ein wichtiger Schritt zur „Entrümpelung“ der italienischen Oper gewesen, deren mittlerweile zu statischem „Virtuosenfutter“ gewordene Arien einem flüssigen dramaturgischen Ablauf im Weg standen.

Nun machte sich Gluck auf, seine Ideen auch in Frankreich zu verbreiten. Unter der Protektion seiner ehemaligen Gesangsschülerin Marie Antoinette, die 1770 den französischen Dauphin Ludwig XVI. heiratete, schloss er mit der Pariser Operndirektion einen Vertrag über sechs Opern ab. Den Anfang machte Iphigénie en Aulide (19. April 1774). Mit der Erstaufführung entflammte ungeahnt ein Streit, fast ein Krieg, der an den Pariser Buffonistenstreit zwanzig Jahre zuvor erinnerte. Glucks Gegner holten den italienischen Opernmaestro Niccolò Piccinni nach Paris, um die Überlegenheit der neapolitanischen Oper zu beweisen, und „ganz Paris“ engagierte sich im Streit zwischen den Gluckanhängern und den Piccinnianhängern. Die Komponisten selbst beteiligten sich nicht an den Polemiken, aber als Piccinni gebeten wurde, das Libretto zu Roland zu vertonen, an dem Gluck bekanntermaßen arbeitete, zerstörte Gluck, was er bis dahin geschrieben hatte. Mit Iphigénie en Aulide gelang Gluck der Durchbruch, daraufhin bearbeitete er seine Wiener Reformopern, um sie ins Französische zu übertragen. Hierzu schrieb er die Hauptstimme – ursprünglich für Altstimme komponiert – für Tenorstimme um, was das Transponieren anderer Stimmen mit sich brachte.

Am 2. August 1774 wurde seine französische Version Orphée et Euridice uraufgeführt – diese war vom Pariser Publikum schon besser angenommen. Im selben Jahr kehrte er nach Wien zurück, wo er zum kaiserlich-königlichen Hofkomponisten ernannt wurde. In den folgenden Jahren reiste der nun in ganz Europa berühmte Komponist zwischen Wien und Paris hin und her, am 23. April 1776 wurde in Paris die ins Französische übertragene Alceste aufgeführt.

Für Paris schrieb er noch Armide (23. September 1777), Iphigénie en Tauride (18. Mai 1779) und zuletzt Écho et Narcisse (24. September 1779). Während der Proben zu Écho et Narcisse erlitt Gluck am 30. Juli 1779 einen ersten Schlaganfall. Nach dieser Oper kehrte er nach Wien zurück.

Sein Erbe in Paris trat der italienisch-österreichische Komponist Antonio Salieri an, dem Gluck seit dessen Ankunft in Wien 1767 freundschaftlich gewogen war. Gluck führte Salieri in Paris ein und überließ ihm 1783 das Textbuch zur Tragédie lyrique Les Danaïdes. Das Werk wurde in Paris zunächst als gemeinschaftliches Projekt der beiden Komponisten angekündigt; nach dem überwältigenden Erfolg der Premiere am 26. April 1784 ließ Gluck jedoch im renommierten Journal de Paris bekanntgeben, dass Salieri der alleinige Verfasser des Werkes sei.